Bike statt Violine

29. Juni 2015

Brian Hsu gilt als eines der größten deutschen Motocross-Talente

Seit diesem Jahr für den MSC Aichwald am Start

Virtuos auch als Geiger

Hätte es mit dem Motocross-Sport nicht geklappt, wäre er Profi-Geiger geworden, sagt Brian Hsu. Es sind außergewöhnliche Alternativen, auch erstaunliche familiäre Wurzeln und herausragendes Talent, die der 17-Jährige vorweisen kann. Und er ist auf dem Bike schon in jungen Jahren erfolgreich. Im vergangenen Jahr war Hsu Junioren-Welt- und Europameister mit der 125er-Maschine. 2012 holte er sich den Nachwuchs-WM-Titel auf dem Motorrad mit dem 85-Kubikzentimeter-Motor, zuvor war er schon im noch jüngeren Bereich auf 50er- und 65er-Maschinen in die Welt- und Europaspitze vorgefahren. Und die Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen. Thomas Hanneke, sein Chef beim Team Rockstar Energy Suzuki Europe, traut ihm für die Zukunft „alles“ zu: „Er hat so viel Talent und ist noch lange nicht am Ende seiner Möglichkeiten.“ Im Rennen des Youngster Cups beim Motocross in Aichwald unterstrich Hsu diese Ambitionen und holte sich den Tagessieg.

Die Begeisterung fürs Motocross hat er von Vater Zoltan Gacsal geerbt. Der ist zwar nur in jungen Jahren gefahren, das ohne großen Erfolg und nur bis an die Grenze des Geldbeutels der Eltern. „Aber ich war und bin verrückt nach Motocross“, sagt Gacsal. Doch nicht nur die Motorsportbegeisterung hat der Vater an den Sohn weitergegeben. Gacsal ist Geigenbauer, und so streicht Brian schon seit dem Alter von vier Jahren mit dem Bogen über die Violinsaiten. „Er hat so viel Gefühl“, sagt der Vater. Doch es wurde die Motocross-Karriere – auf dem Bike saß Brian Hsu erstmals als Sechsjähriger. Trotzdem versucht der Junge noch jeden Tag, eine halbe Stunde Geige zu spielen – auch zur Entspannung. Und er ist beruflich in die Fußstapfen des Vaters getreten. Im italienischen Geigenbauer-Mekka Cremona, wo die Familie seit 2008 lebt und schon Stradivari Violinen herstellte, macht er eine Ausbildung zum Geigenbauer.

So erstaunlich die Kombination Motocrossfahrer und Geigenspieler ist, so außergewöhnlich liest sich die Familiengeschichte. Hsus Großeltern ziehen mit dem elfjährigen Zoltan von Ungarn in den Breisgau. Zoltan Gacsal wächst in Freiburg auf, mit einem Freund zieht es ihn später nach Hawaii. Dort trifft er seine spätere Ehefrau Sophie Hsu – eine Taiwanesin.

Familie lebt in Italien

Sohn Brian wird dann in Freiburg geboren, lernt während eines Arbeitsaufenthalts des Vaters in Taiwan das Motorradfahren. Jetzt lebt die Familie in Italien, Brian ist auf den Rennstrecken in ganz Europa zuhause, hat den taiwanesischen und den deutschen Pass, spricht englisch, italienisch, ungarisch, Mandarin und „ein bisschen deutsch“.

Die Motocross-Karriere Hsus wird sorgfältig, aber auch recht behutsam vorangetrieben. „Ich habe keine Eile“, sagt der 17-Jährige. In diesem Jahr ist er nach zehn Jahren auf Zwei-Taktern auf die Vier-Takt-Maschine umgestiegen – eine große Umstellung. Nicht nur weil zum Beispiel das Kurvenverhalten ein ganz anderes ist, auch bedarf es mehr Pilotenkraft, um die Motorkraft zu bändigen. Deshalb wurde in der Wohnung in Cremona ein Zimmer ausgeräumt, um Fitnessgeräte aufzustellen. Und es bleibt ein Spagat, die Ausbildung mit dem Motocross-Leben zu vereinbaren.

Zoltan Gacsal lässt seinen Beruf als Geigenbauer seit zwei Jahren fast vollständig ruhen und begleitet seinen Sohn als Mechaniker. In Aichwald war auch Sophie Hsu dabei. Und die drei fühlen sich in ihrer neuen Vereinsfamilie wohl. Florian Knauf aus Reichenbach, ein Freund Brians, hatte die ersten Kontakte geknüpft. Seit diesem Jahr fährt Hsu für den MSC Aichwald. „Es ist ein gutes Gefühl“, sagt er. „Brian ist ein Vorzeigesportler, er passt zu uns“, sagt der MSC-Vorsitzende Manuel Dorn. Die Vereinsunterstützung beinhaltet auch einen finanziellen Aspekt – der bewege sich aber in überschaubarem Rahmen, versichert Dorn.

Hsu ist derzeit im zweiten Lehrjahr, die Ausbildung zum Geigenbauer an der Stradivari-Schule dauert fünf Jahre. Die lange Dauer wird dazu führen, dass sich der Konfrontationskurs zwischen Schule und Karriere weiter verschärfen wird. „Das Problem ist die viele Reiserei“, sagt Hsu. Und die könnte bald noch mehr werden. Möglich, dass das große deutsche Nachwuchstalent mit Wildcards noch das eine oder andere Rennen in der diesjährigen MX2-Weltmeisterschaft fährt. „Spätestens 2017 fährt er die MX2“, gibt Teamchef Hanneke vor. Dann wird die Schule wohl ruhen und der Abschluss später nachgeholt werden müssen. Das kann aber dauern, sollten die Prognosen der Experten eintreffen.

Artikel vom 29.06.2015 © Eßlinger Zeitung

Text: Claus Hintennach
Foto: Jochen Beck
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